Therapie und Coaching: Über Heilsversprechen und Machtmissbrauch

Therapie und Coaching - Heilsversprechen und Machtmissbrauch

 

 

Heute bin ich über diesen Artikel „Robert Betz – Glücks-Coach oder Scharlatan“ gestolpert und möchte das zum Anlass nehmen, einmal über ein für mich bedeutendes Thema zu schreiben: Macht und Machtmissbrauch in Therapien und Coachings.

Die Kritik des Artikels an Robert Betz kann man wie folgt zusammenfassen:

  1. Nähe zur esoterischen Szene (damit unwissenschaftliche Arbeit?)
  2. Falsche Versprechungen („Krebs wird selbst geschaffen – und selbst geheilt“)
  3. Sektenähnliche Strukturen (wobei dies nicht näher definiert wird)
  4. Ich persönlich empfinde auch indirekt den Vorwurf des „Geschäftemachens auf Kosten der Schwachen“, wobei dies nicht konkret so benannt wird

 

Zu den Punkten 1 und 2 denke ich Folgendes:

Warum nimmt jemand ein Coaching oder eine Therapiestunde in Anspruch oder kauft ein Buch über Glück oder ähnliche Themen? Wahrscheinlich weil er sich davon Hilfe verspricht. Was ist nun „Hilfe“? Menschen sind ganz, ganz unterschiedlich, mit unterschiedlichen Erfahrungen, Ansichten und Werten. Was Hilfe bedeutet, ist für jeden Menschen individuell!!!

Die Schulmedizin versucht nun Menschen und „Störungen“ zu kategorisieren und dementsprechend standardisierte Lösungen zu entwickeln. Das ist durchaus sinnvoll, wenn ich weiß: Für Menschen, die eine Psychose haben ist meistens x gut und y schädlich. Das heißt aber keineswegs, dass das immer so ist.

Wissenschaft arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten, nicht mit Tatsachen. Und Wissenschaft ist auch nicht so wissenschaftlich, wie viele Laien denken. Auch Wissenschaftler haben ihre Standpunkte und Erfahrungen, die ihre Arbeit prägen.  Entgegen der gängigen Meinung kann Schulmedizin auch kein Heilversprechen geben. Schulmedizin kann höchstens sagen: Bei dieser speziellen „Krankheit / Störung“ führt Behandlung x in y% zu Ergebnis z – vorausgesetzt man hält alle anderen Variablen konstant, was in der Praxis unmöglich ist.

Was bedeutet das nun? Fakt ist: Was wirklich hilft, ist individuell. Das heißt in der Konsequenz, dass auch jeder selbst verantwortlich dafür ist, zu entscheiden, was ihm persönlich hilft. Wer schwach und überfordert ist, erhofft sich aber die Hilfe von außen. Das ist legitim und genau hier liegt das Problem. Wer schwach und überfordert ist und daher in eine Therapie, ein Coaching oder zu einem Seminar kommt, gibt oftmals ein Stück Verantwortung ab. Dadurch entsteht ein Machtgefälle und wo es ein Machtgefälle gibt, kann es auch Machtmissbrauch geben.

 

Zu Punkt 3 denke ich Folgendes:

Es wird hier nicht definiert, was mit sektenähnlichen Strukturen gemeint ist. Dennoch durchzieht das Thema den Artikel. Für mich ein nicht nachvollziehbarer Vorwurf.

 

Zu Punkt 4 denke ich Folgendes:

Ich persönlich empfinde es für mich im Bereich Coaching durchaus als Spagat, auf der einen Seite individuell zu arbeiten und auf der anderen Seite ein sinnvolles Marketing zu machen. Was soll meine Marketingaussage sein? „Ich arbeite individuell“? Das ist marketingtechnisch Schrott. Das interessiert nicht. Was jemanden interessiert ist, was er davon hat. „Glücklich in 30 Tagen“ wäre da schon besser – und dann bin ich beim Thema falsche Versprechungen.

 

Macht und Machtmissbrauch

Das Grundsatzproblem ist aber ein anderes: Das Problem entsteht, wenn jemand mehr auf das hört, was der „Experte“ sagt, als auf das, was er selbst empfindet. Daher mein ganz dringender Rat: Achten Sie darauf, was Ihnen gut tut. Achten Sie darauf, was Sie empfinden. Achten Sie darauf, was Bücher, Vorträge, aber auch Einzelgespräche in Ihnen auslösen. Das perfekte Angebot für alle gibt es nicht.

In meiner Arbeit als Coach hat in einem Coaching-Einzelgespräch meine persönliche Sichtweise der Welt zunächst einmal nichts verloren. Es gibt natürlich ständig Situationen, in denen etwas in mir ausgelöst wird, in denen ich z.B. denke: „Diese Situation würde mich aber total wütend machen.“ Das kann ich so sagen, das ist ein Feedback. Es geht aber nicht um mich, es geht um die Person, die zu mir kommt. Wenn diese Person das nun ganz anders sieht, habe ich das zu akzeptieren.

Natürlich kann ich im Gespräch auch durchaus fragen: „Was brauchen Sie? Welche Form der Unterstützung wünschen Sie sich? Was erwarten Sie von mir?“ etc. Der Kunde zahlt ja, also darf er das auch entscheiden. Und natürlich gibt es viele Coaches und Therapeuten, die das anders sehen, die ihr Schema haben, in das der Kunde passen soll – was nun einmal oftmals nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch meine Aufgabe zu helfen und zu unterstützen und es ist meine Qualifikation, durchaus Vorschläge zu machen und eine Richtung vorzugeben.

In einem Vortrag oder einem Buch ist das wieder etwas anderes. Hier vertrete ich natürlich meine Sichtweise – und die kann für den Leser / Zuhörer passen und hilfreich sein – oder eben nicht. Problematisch wird es immer, wenn jemand glaubt, seine Ansichten sind die einzig richtigen. Und problematisch wird es, wenn für jemanden die eigene Ideologie wichtiger ist als die anderen Menschen. Das ist für mich Machtmissbrauch. Diese Gefahr sehe ich bei Robert Betz durchaus. Diese Gefahr sehe ich auch bei sehr, sehr vielen anderen – sowohl Coaches / „Lehrer“, als durchaus auch bei klassisch ausgebildeten Therapeuten. Und ich kann nicht ausschließen, dass das in meinen Texten vielleicht auch einmal so rüberkam, wenn es auch nicht so gemeint ist.

 

Robert Betz

Die Ansichten von Robert Betz basieren auf der Lehre, dass jeder für alles selbst verantwortlich ist. Leidest du, bist du – und nur du – dafür verantwortlich. Bist du glücklich, bist du natürlich auch verantwortlich. Der Artikel sagt dazu: „Derartige Lehren würden bei Patienten mit ernsthaften Erkrankungen zwangsläufig zu Enttäuschungen führen – oder zur quälenden Frage, was sie falsch gemacht hätten.“ Ich würde das „zwangsläufig“ weglassen, ansonsten diesen Satz unterstreichen. Denn wenn Leid etwas ist, was es um jeden Preis zu verhindern gilt, und wenn es mir doch einmal wiederfährt, dann ja nur, weil meine innere Einstellung nicht gut genug ist und ich es selbst fabriziert habe, dann ist das für mich persönlich keine gesunde Ansicht. Diesen Grundgedanken haben aber, wie gesagt, viele andere, insbesondere Coaches, und durch The Secret wurde das auch allgemein sehr populär. Und natürlich ist auch an der Eigenverantwortung etwas dran. Ich persönlich bin auch absolut für Eigenverantwortung. Die Welt ist nun einmal nicht schwarz und weiß, sondern bunt und vielfältig.

Eine Sache ist mir in einem Vortrag von Robert Betz ganz böse aufgestoßen: Die Aussage, man habe sich als Kind ausgesucht, auf eine bestimmte Art und Weise zu denken. Das ist – sorry – wirklich Schwachsinn. Das Kind internalisiert, was es vermittelt bekommt. Das Kind ist bis zu einem bestimmten Alter gar nicht in der Lage zu erkennen, dass es eine andere Realität gibt, als die, in der es aufwächst. Für einen ausgebildeten Psychologen finde ich eine solche Aussage schon ein Unding. Für mich ein absolutes No-Go.

Mein Tipp: Hören Sie auf Ihre innere Stimme und gehen Sie achtsam mit sich um – und nehmen Sie sich selbst wichtiger als jeden „Experten“.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>