Die Welt ist voll mit schlechten Nachrichten. Und mit positiven Nachrichten. Je nachdem, was ich sehen möchte. Wenn ich mich nun mit dem „Negativen“ beschäftige, gebe ich dann Energie in ein System, das ich gar nicht haben möchte? Verschwinden Missstände in Politik und Gesellschaft durch kollektives positives Denken, durch das Gesetz der Resonanz? Für was bin ich verantwortlich und was liegt außerhalb meiner Verantwortung? Was ist mit Menschen, die Missbrauch und Gewalt erlebt haben? Ich möchte auf der Suche nach Antworten meine Komfortzone verlassen und Dich einladen, mit mir auf die Reise zu gehen. Eines möchte ich dabei jedoch betonen: Falls Du einen anderen Weg für Dich als stimmiger betrachtest, dann wähle bitte diesen. Denn ich bin kein Guru und als Kind auch nicht im Weisheitstrank ertrunken – was ein Glück, sonst wäre ich ja nicht hier
Prolog: Positiv und negativ. Oder: Das Glück, einfach zu SEIN
Was ist positiv und was ist negativ? Es gibt Dinge, die man haben will und Dinge, die man nicht haben will. Es gibt positive und negative Gefühle, Schmerz und Leid sind daher Dinge, die Du nicht haben willst, richtig? Schauen wir uns das einmal genauer an.
Was ist besser? Sommer oder Winter? Tag oder Nacht? Gras oder Bäume? Süden oder Norden? Rechte Hand oder linke Hand? Herz oder Hirn? Männer oder Frauen? Dumme Fragen? Alles gleich gut? Ok.
Was ist besser? Freude oder Schmerz? Glück oder Leid? Dankbarkeit oder Trauer? Liebe oder Wut? Dumme Fragen? Natürlich die Freude, das Glück, die Dankbarkeit und die Liebe!? Ist das wirklich so?
Hier meine erste Erkenntnis: Gefühle sind weder gut noch schlecht. Gefühle SIND einfach. Und Gefühle haben einen Sinn. Was passiert, wenn du deine Hand auf eine heiße Herdplatte legst? Richtig, du ziehst die Hand blitzschnell wieder weg. Warum? Weil es weh tut. Und was würde passieren, wenn du diesen Schmerz nicht fühltest? Deine Hand würde verbrennen. Der Schmerz ist also ein Handlungsbedarfssignal. Schmerz schützt vor Schaden.
Therapiewahn. Oder: Von der Freude des wahren Selbst
In den 1950er Jahren, versuchte der Psychiater Donald E. Cameron, eine tabula rasa im Gehirn zu produzieren und so das Bewusstsein in ein Blankozustand zu versetzen, um darauf die Persönlichkeit neu aufzubauen. Fürchterliche Experimente, über die sich freilich die CIA freute. Diese Verbrechen geschehen auch heute noch. Nicht nur mit Medikamenten, Elektroschocks und anderen Foltermethoden. Nein, das Verbrechen, auf dem diese Verbrechen beruhten und beruhen, ist überhaupt einmal zu glauben, dass man Menschen, die als „krank“ gelten oder einfach nur leidvolle Erfahrungen gemacht haben, so verändern muss, dass sie wieder der gesellschaftlichen Norm entsprechen – was immer das heißen mag. Dass „negative“ Erfahrungen nicht sein dürfen und man sie am besten ausradiert. Das ist menschen- und lebensverachtend. Ein Mensch ist ein Mensch, wertvoll und liebenswert, egal ob er Stimmen hört, trinkt, sich selbst verletzt, Angst hat oder einfach nur anders denkt als andere. Egal, was für Erfahrungen er gemacht hat. Und damit kein Missverständnis entsteht: Das gesamte schulmedizinisch-psychologisch-therapeutische System, einflussreiche Strömungen im Coaching und die Lehren von international bekannten „Lehrern“ beruhen auf dem Versuch, schmerzvolle Erfahrungen auszulöschen bzw. „umzutherapieren“. Nur die Methodik hat sich geändert. Man nimmt heute keine Folter mehr, sondern die „Soft“-Varianten. Und der Versuch, zu therapieren, was nicht in die Norm passt, schreitet immer weiter voran und ist in der Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit geworden.
Ich persönlich spüre meinen Schmerz. Und ich bin verdammt froh darüber, denn es führt zu Klarheit. Hier also meine zweite Erkenntnis: Schmerz führt zu Klarheit darüber, was ich will und was ich nicht will, was mir wichtig ist und wo ich hin will – zu Klarheit darüber, wer ich überhaupt bin ohne alle die tollen und weniger tollen Masken. Er führt mich zu mir selbst. Er führt zur Freude, ich selbst zu sein.
Von Werten und Bewertungen. Oder: Den Wert kennt der, der den Preis bezahlt hat
Was immer Menschen tun, tun sie aus einem von zwei Gründen: Um Freude zu empfinden oder um Schmerz zu vermeiden. Wobei hier das zweite die stärkere Kraft ist, denn Schmerzvermeidung ist Überlebenstrieb. Hier also meine dritte und vielleicht wichtigste Erkenntnis: Schmerz ist die stärkste Kraft des Menschen überhaupt.
Man redet oft von Wertezerfall. Dabei hat jeder Mensch Werte. Meine wichtigsten Werte sind Respekt und Menschlichkeit. Werte bestimmen unser Handeln und geben uns Orientierung. Was wir wie bewerten hängt wiederum davon ab, was uns Schmerz und Freude bereitet. Problematisch wird es, wenn wir andere mit unserem Wertemaßstab beurteilen. Dazu haben wir kein Recht, denn andere Menschen haben andere Werte.
Welchem Wert messen wir nun einer Sache bei? Nehmen wir z.B. Freiheit. Jemand der in Freiheit aufwächst, wird der Freiheit einen anderen Wert zumessen, als jemand der unschuldig im Gefängnis saß oder einer Frau, der verboten wird, das Haus zu verlassen.
Der entscheidende Punkt dabei ist Folgendes: Wer einem anderen Menschen seine Freiheit nimmt, bewirkt in der Regel, dass dieser Mensch infolgedessen der Freiheit einen höheren Wert zumisst.
Wer jemanden unterdrückt, zeigt ihm also den Wert der Freiheit.
Wer jemanden missachtet, zeigt ihm auch, was Würde bedeutet.
Wer jemanden foltert, zeigt ihm wie wertvoll körperliche Unversehrtheit, Gesundheit und das Leben an sich ist.
Das funktioniert allerdings nur, wenn der Betroffene das Leid auch spüren kann. Indem ich sensibilisiert werde für die Dinge, die ich nicht will, werde ich auch sensibel für die Dinge, die ich will.
Ein Wort zu Verdrängung und Dissoziation: Verdrängung entsteht durch Überforderung. Das ist ein Schutzmechanismus und das ist biologisch wichtig und sinnvoll. Jeder hat seine persönliche Grenze, auf die natürlich jeder genau achten darf. Und ich möchte jeden ausdrücklich ermutigen, das auch zu tun! Nicht immer kann und will man Gefühle zulassen – denn Gefühle können auch als beängstigend erlebt werden.
Wenn ich nicht die Fähigkeit besitze, wütend und empört zu sein, wird es mir wahrscheinlich schwerfallen, meine Werte und Ziele zu definieren. Es wird mir schwerfallen, Dinge zu verändern. Und vor allen Dingen: Es wird mir schwerfallen, für mich selbst einzutreten. Und jemand, der nicht für sich selbst eintreten kann, tendiert dazu, zum Opfer zu werden. Denn wenn ich keine Grenzen setzen kann, werden andere meine Grenzen verletzen. Alleine schon deswegen, weil sie sie nicht sehen (können). Grenzen kann ich nicht setzen, wenn ich meine eigenen Grenzen nicht spüre. Und wenn ich nicht fühle, nicht fühlen darf, und zwar auch die ANGEBLICH negativen Gefühle, dann kann ich auch nicht wissen, wo meine Grenzen liegen. Und dann bleibe ich ein Selbstbedienungsladen für andere Menschen, von dem sich jeder nehmen kann, was immer er gerade möchte. Auch Wut ist eine biologisch sinnvolle Reaktion. Sie ist da, um das Leben zu SCHÜTZEN und nicht, um es zu zerstören. Das impliziert selbstverständlich einen verantwortungsvollen Umgang damit.
Wenn du mir bis hierin folgen konntest und wolltest – vielleicht auch einmal oder öfter anderer Meinung warst – möchte ich nun gerne zum eigentlichen Thema kommen: Dem Leid der anderen und in der Welt – weg von einer persönlichen Ebene hin zu einer gesamtgesellschaftlichen / politischen Ebene. Was für einen Sinn macht es, sich mit Missständen und der „Schlechtigkeit der Welt“ zu befassen?
“I have a dream” Oder: “Viva la revolución”
„I have a dream“, sagte Martin Luther King in seiner berühmten Rede und zählte dabei einige Träume auf. Ich frage Dich, nicht auf einer persönlichen, sondern auf einer gesellschaftlichen Ebene: Welche Träume hast Du? Wie stellst du dir eine ideale Gesellschaft vor? Ja, ich weiß ganz genau, was dir jetzt eingefallen ist: Das, was du NICHT (mehr) möchtest. Das ist normal, denn der Mensch lernt und orientiert sich an Vergleichen. Und hier gilt wieder genau das gleiche Prinzip: Durch die Sensibilisierung für das, was man nicht will, wird man auch sensibel dafür, was man will. Und was man will, das ist extrem wichtig zu definieren, damit man ins Handeln kommt. Denn sonst hat man die eingangs erwähnte Problematik: Indem man GEGEN ein System kämpft, gibt man Energie in das System, das man eigentlich nicht will. Dennoch ist die Kritik des Ist-Zustandes eine enorme Hilfe, um den Soll-Zustand zu definieren. Das ist der erste Grund, warum es sich lohnt, sich mit Missständen auseinander zu setzen.
Grund Nr. 2: Die Auseinandersetzung mit unangenehmen Dingen erzeugt Schmerz. Wir erinnern uns: Schmerz ist ein Handlungsbedarfssignal. Schmerz ist die größte Kraft überhaupt. Schmerz ist die Kraft, die zur Veränderung führt. Ja, auch der Wunsch, Freude zu empfinden kann zu Veränderung führen, auf einer gesellschaftlichen Ebene funktioniert das allerdings höchstens in der Theorie.
Grund Nr. 3: Du lebst in dieser Gesellschaft. Hast du gerne einen Einfluss auf dein Umfeld und deine Lebensumstände? Die meisten Menschen werden das mit „ja“ beantworten. Einfluss ausüben kann man nicht durch wegschauen. Glaubst du, dass du etwas bewirken kannst? Wahrscheinlich wirst du das verneinen. Wahrscheinlich hast du Recht. Wahrscheinlich ist das zumindest die Erfahrung der meisten Menschen. Dennoch: Einen Halm kann man brechen, ein ganzes Bündel nicht. Wenn jeder einzeln etwas tut, ist die Wirkung klein. Wenn jeder Einzelne mit jedem Einzelnen zusammen das Gleiche zur gleichen Zeit tut, ist die Revolution da.
Grund Nr. 4: Warum tut nicht jeder Einzelne mit jedem Einzelnen zusammen das Gleiche zur gleichen Zeit? Weil das Bewusstsein für die Problematik fehlt oder weil das Bewusstsein da ist und die Lösung fehlt. Da kann ich nur sagen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Und genau das ist der Grund, warum man auch die schlimmen, unbequemen Dinge ansprechen sollte. Auch die, nach denen man drei Wochen nicht schlafen kann. Danke an Alle, die das jetzt schon tun.
Grund Nr. 5: „Richte dein Gesicht der Sonne entgegen und der Schatten liegt hinter dir.“ Das heißt aber keineswegs, dass der Schatten dann weg ist. Wenn ich mich mit dem „Schatten“ auseinander setze, kann ich mich auf dieser Grundlage vorbereiten und schützen. Beispiele: Keine Einwilligung zur Organspende, keine Fotos von Kindern im Internet, etc.
Grund Nr. 6: Interessiert es dich, was mit deinem „Nächsten“ geschieht? Möchtest du, dass es deinen „Nächsten“ interessiert, was mit dir geschieht? Gemeinschaft gibt Sicherheit. Insbesondere wenn man an die spirituelle Sichtweise glaubt, dass alles mit allem verbunden ist, stellt sich die Frage: How can I turn away, pretend that I don’t see? What’s happening to you, is happening to me!
Grund Nr. 7: Empathie; Liebe und Menschlichkeit. Ich liebe das Leben. Daher habe ich den Instinkt, es zu schützen. Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wie“.
Stellen wir uns doch einmal alle gemeinsam nicht die Frage, ob es richtig ist, sich mit scheinbar negativen Dingen zu beschäftigen. Stellen wir uns doch die Frage, welche Lösungen es gibt und was jeder konkret tun kann. Auch hier geht mein Dank an Alle, die das jetzt schon tun. In diesem Sinne: Viva la revolución.
Falsch bestellt? Oder: Von Macht, Schuld und Verantwortung
Wie ist das nun mit Menschen, die Gewalt und Missbrauch erfahren haben? Wie ist das nun mit der Resonanz und der (Eigen)verantwortung? Ich bin für alles, was mir wiederfährt selbst verantwortlich? Auch die Gewalt hat jeder selbst angezogen? Einfach zu blöd, um „richtig“ zu bestellen? Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin absolut für das Prinzip der Eigenverantwortung. Verantwortung DARF man übernehmen. Das ist ein Geschenk.
Vorab ein kurzes Wort zu Kindern und Kindheit: Absolut inakzeptabel ist es, Kindern (und Erwachsenen, die über Dinge der Kindheit sprechen) eine Verantwortung zuzuschieben, die sie per Definition nicht haben können. Wenn ich z.B. höre, dass Psychologen (!) öffentlich sagen, jemand hätte sich als Kind bewusst ausgesucht, auf eine bestimmt Art zu denken, werde ich wütend, da dies völlig der Natur und Fähigkeit des Kindes widerspricht. Wird ein Kind missbraucht, bekommt es vom / von den Täter/innen i.d.R. massive Schuld eingeredet, was es auch glaubt, da es das nicht reflektieren KANN. Erkennt nun das Kind als Erwachsener berechtigterweise, dass es eben NICHT verantwortlich war, ist das (hoffentlich) ein Schritt zur Heilung.
Zum Thema Schuld: Der Begriff Schuld kommt aus der Religion und wird überwiegend zur Manipulation und Machtausübung verwendet. Das Konzept der Schuld existiert in meinem Bewusstsein eigentlich nicht. Ich verwende den Begriff hier lediglich zum allgemeinen Verständnis.
Warum muss immer jemand Schuld haben? Eine Frau, die von ihrem Mann verprügelt wird (oder auch umgekehrt), denkt immer mehr oder weniger, dass es ihre Schuld ist. Ein Kind, das missbraucht wurde, denkt immer mehr oder weniger, dass es seine Schuld war. „Hätte ich doch bloß (nicht) …“.
Das ist ein interessantes Phänomen. Warum ist das so? Nimm einmal ein beliebiges Psychologielehrbuch und schlage etwas zu menschlichen Grundbedürfnissen nach. Neben den rein körperlichen und überlebensnotwendigen Bedürfnissen, wie essen, schlafen usw. wirst du etwas finden, das überall sehr weit oben steht – SICHERHEIT. Der Mensch braucht Sicherheit und das wird in der Regel mit wirtschaftlicher Sicherheit gleichgesetzt. Das ist natürlich etwas kurz gedacht. Der Mensch braucht die Sicherheit, dass er für sich sorgen kann, dass er Einfluss auf seine Lebensumstände nehmen kann und die Sicherheit, dass andere für ihn sorgen, falls er es nicht mehr alleine kann. Wird nun einem Menschen Gewalt angetan, gegen die er sich nicht wehren kann oder wird ihm sonst gegen seinen Willen Schaden zugefügt, entsteht ein massives Ohnmachtsgefühl, das Gefühl „jemand macht etwas mit mir und ich habe keine Chance mich dagegen zu wehren“. Ohnmacht und Hilflosigkeit gehören zu den schlimmsten Dingen überhaupt. Und zwar deswegen, weil sie das Sicherheitsbedürfnis grausam zerstören. Jemand der ohnmächtig ist, wird die Schuld für das, was ihm angetan wird, i.d.R. zunächst einmal bei sich suchen – und dann auch finden. Und zwar schlicht und ergreifend deswegen, weil es der naheliegendste Weg ist, der Ohnmacht zu entfliehen. Wer vergewaltigt wird, tendiert dazu sich einzureden, dass es seine Schuld ist. Das gibt Macht und Sicherheit zurück. Die Sicherheit, es das nächste Mal durch eine Verhaltensänderung verhindern zu können. Das ist Überlebenstrieb und die Schuldfrage ist dabei zunächst einmal nebensächlich. Es ist für die meisten Menschen wesentlich besser Schuld zu tragen, als in einer grausamen Welt zu leben, in der man Gewalt hilflos ausgeliefert ist.
Die Vorstellung übrigens, dass meine Seele sich vor meiner Geburt gewisse Dinge ausgesucht hat, ist meiner Meinung nach auch nur die etwas nettere Art und Weise zu sagen: Du bist selbst schuld. Ich finde, das Leben ist auch viel intelligenter als ich und kann das daher wesentlich besser. Wenn ich glaube, dass ich alles nur durch mein Denken oder mein Bewusstsein ändern kann, führt das vielleicht zu einem Gefühl von Sicherheit und Macht. Wenn ich glaube, dass ich alles nur durch mein Denken oder mein Bewusstsein ändern kann, führt das vielleicht zu einem glücklicheren Leben. Doch in meinen Augen ist das eine Lüge. Eine Lüge, die allzu gerne geglaubt wird, weil wir sie glauben WOLLEN und auch SOLLEN und nicht, weil sie den Tatsachen entspricht. Und aus dem gleichen Grund gibt es Menschen, die es beharrlich bekämpfen, wenn jemand etwas anderes behauptet oder erfahren hat. Wenn ich glaube, dass ich alles nur durch mein Denken oder mein Bewusstsein ändern kann, führt das VIELLEICHT zu einem Gefühl von Sicherheit und Macht – das allerdings nur eine Illusion ist. Wenn ich glaube, dass ich alles nur durch mein Denken oder mein Bewusstsein ändern kann, führt das aber mit Sicherheit zu einem – nämlich zu VERSAGEN. Auch wenn das Grundprinzip richtig ist, gibt es schlichtweg Dinge, für die ich keine Verantwortung trage und die ich NICHT ändern kann.
Ich höre des Öfteren, wenn man Täter beschuldigt, gibt man ihnen Macht. Man begibt sich angeblich in die „Opferrolle“ (schreckliches Wort!). Das stimmt so nicht. Wenn jemand sagt, dass etwas gegen seinen Willen mit ihm gemacht wurde, dann spricht er damit erst einmal die Tatsachen aus. Wenn er sagt, dass der/die Täter/innen gehandelt haben und er behandelt bzw. misshandelt wurde, dann gibt er die Verantwortung dahin, wo sie hingehört. Wenn er sich das Recht und die Freiheit nimmt, mit den Tatsachen so umzugehen, wie sich das für ihn selbst richtig anfühlt, dann nimmt er sich seine Kraft zurück. Wenn er so damit umgeht, wie andere es ihm aufdiktieren, dass er damit umgehen SOLL, dann wird er weiter misshandelt. Denn dann ist er nicht in seiner Kraft. Dann lässt er mit sich machen. Genau wie der/die Täter/innen mit ihm gemacht haben. Dazu später noch etwas mehr.
Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Oder: Die Diffamierung der Opfer
„Wer das Böse, Perfide, Grausame, nicht als solches benennen darf, bleibt orientierungslos zurück.“
In der Öffentlichkeit gibt es eine sehr seltsame Art, Menschen zu diffamieren, die erzählen, was ihnen an Leid widerfahren ist. Und sehr seltsame Versuche, die Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern zu machen.
Leid gehört auch einfach zum Leben dazu. Und es gibt Dinge, für die ich definitiv verantwortlich bin und Dinge, für die ich definitiv nicht verantwortlich bin und es gibt einiges dazwischen. Voll verantwortlich bin ich dafür, wie ich mit den Dingen umgehe – und selbst das ist so einfach nicht, denn manchmal ist man „in sich selbst gefangen“ und auch das gehört zum Prozess des Lebens und des Lernens.
Diese Sichtweise scheint eine Gefahr für manche Leute darzustellen. Sie stellt eine Gefahr dar, weil sie ihre Kontrolle in Frage stellt. Wenn es Dinge gibt, für die ich keine Verantwortung trage und die ich nicht ändern kann heißt das im Klartext: Es gibt Dinge, die ich nicht kontrollieren kann. Es gibt einige Coaching-Richtungen, die sehr viel Wert auf die Illusion der Kontrolle legen. Und dann passiert Folgendes: Man darf nicht sagen, dass man hilflos war, damit der andere / der Coach nicht glauben brauchst, dass es möglich ist, keine Kontrolle zu haben. Das Gegenteil von Kontrolle ist Vertrauen. Ich vertraue der Schöpfung und dem Leben. Ich lebe in einer vollkommenen Welt. Ich liebe diese Welt. Ich liebe das Leben.
Die Menschen denken, dass sie Macht gewinnen, wenn sie die Dinge kontrollieren, Menschen kontrollieren, Gefühle kontrollieren. Doch das stimmt nicht. Kontrolle gibt keine Macht. Kontrolle vertuscht nur Machtlosigkeit und hält somit die Illusion der Macht aufrecht. Und das ist eben nur das – eine Illusion. Vertuschung führt zwangsläufig zu mehr Machtlosigkeit. Und zu einem Verlust von Energie, denn sie ist anstrengend.
Und noch etwas: Empathie für das Leid des anderen setzt Empathie für das eigene Leid voraus. Ein weiterer Grund, sich damit zu beschäftigen. Und ich meine hier ausdrücklich nicht Mitleid, denn wenn ich mitleide, wird das Leid des anderen nicht besser. Ich meine das, was ich immer meine: Einen respektvollen, verständnisvollen, achtsamen Umgang miteinander. Manchmal kann man sich nicht alles anhören, weil die eigene Grenze überschritten wird. Das ist ok. Was aber absolut nicht ok ist, den ANDEREN schlecht zu machen, weil MAN SELBST damit überfordert ist, was dem anderen passiert ist. Ich darf selbst entscheiden, ob ich mir das Leid anhöre. Menschen (Kinder!), die es erlebt haben, wurden gezwungen es zu erleben. Mach dir das mal bewusst.
Und diese schrecklichen und immer wieder kehrenden Beleidigungen gegenüber Betroffenen haben meines Erachtens noch eine andere Ursache. Auch wenn es erst einmal verdammt blöd klingt: Neid – und zwar nicht auf das Erlebte an sich. Das Leben ist Bewegung und Entwicklung. Wenn ich mich auf etwas Neues zu bewege, empfinde ich Angst und / oder Vorfreude. Wenn ich mich von etwas weg bewege, empfinde ich Erleichterung und / oder Trauer. Auch hier wieder eins von diesen „negativen“ Gefühlen, die zum Leben gehören, aber gesellschaftlich nicht erwünscht sind. Und jetzt gibt es Menschen, die sich solch große Mühe geben, ihr Leben und damit ihre Gefühle „im Griff“ zu haben und dann kommt „so ein Missbrauchsopfer“ daher und redet über das eigene Leid und bekommt auch noch Aufmerksamkeit dafür … Für manche Menschen, die nicht wissen, an was sie ihren Schmerz festmachen können einfach zu viel. Nach dem Motto: “Der darf leiden und ich muss immer funktionieren.” Dass ein(e) Missbrauchsbetroffene(r) natürlich ganz und gar nicht die Art von Aufmerksamkeit bekommt, die angemessen wäre, wird natürlich nicht gesehen. Es gibt Menschen, die andere klein machen müssen, um sich selbst groß zu fühlen. Traurig aber wahr. Erlaubst du dir selbst, zu leiden, traurig, wütend und verzweifelt zu sein? Oder fühlst du dich dann als Versager, weil das ja eigentlich nicht sein darf?
Wirkliche Macht kommt aus Bewusstsein, aus Erkenntnis, aus Klarheit, aus Freiheit, aus Wahrheit, aus Vertrauen, aus Unschuld, aus Verbundenheit mit sich selbst, mit dem Leben, mit dem Universum. Ich habe Macht, wenn ich mir selbst und der Dinge bewusst bin, denn nur dann kann ich etwas verändern und / oder mit Dingen umgehen, wie ich es für richtig halte. Ich habe Macht, wenn ich erkenne, was in mir und im Außen vor sich geht, wenn ich bei mir bin, verbunden mit mir, wie ich wirklich bin. Ich habe Macht, wenn ich die Dinge klar sehe und benennen kann, wenn ich klar weiß, was ich will und was nicht und mir die Freiheit nehme, zu fühlen und zu handeln, wie es für mich persönlich richtig ist, jenseits aller Manipulation. Ich habe Macht, wenn ich meine Wahrheit klar sehen und aussprechen kann. Ich habe Macht, wenn ich Vertrauen habe und nicht dem Zwang unterliege, alles kontrollieren zu wollen – denn dann kontrolliert mich mein Kontrollzwang. Ich habe Macht, wenn ich frei bin von dem Konzept der Schuld und wenn ich Verantwortung übernehmen, aber auch dahin geben kann, wo sie hin gehört. Ich habe Macht, wenn ich in der Lage bin, Meines und Deines auseinander zu halten. Ich habe Macht, wenn ich sehen kann, dass es manchmal Dinge gibt, die passieren, ohne dass jemand Verantwortung dafür trägt. Ich habe Macht, wenn ich in der Lage bin, mich mit mir selbst, meiner Kraft und der Kraft des Lebens zu verbinden und diese Kraft für mich zu nutzen. Macht kommt nicht von Kontrolle. Macht entsteht, wenn man mit sich selbst, der Lebenskraft und der eigenen Intuition verbunden ist und der Stimme des Herzens folgt.
Missbrauch durch die Gesellschaft und der Kampf um die Ideologie. Oder: Der Ort, an dem das wahre Leben stattfindet
Wer Missbrauch erlebt, wird in der Regel (mind.) zweimal missbraucht. (Mind.) einmal vom / von den Täter/innen und einmal von der Gesellschaft – durch Unverständnis, Anfeindungen, Diffamierungen uvm. Das ist meistens traurige Realität.
In der traumatherapeutischen Fachliteratur gibt es oft eine ideologische Debatte zum Thema „Niemals darf man (z.B. über das erlebte Leid sprechen)“ und „Immer muss man (z.B. eine Therapie mit einer langen Stabilisierungsphase beginnen)“. Was ist nun richtig? Hier eine ganz einfache Antwort auf eine komplexe Frage: Richtig ist immer das, was der/die Betroffenen als richtig empfindet. Alles andere ist Machtmissbrauch – wenn es in einem therapeutischen Setting stattfindet: Der tolle Therapeut sagt dem dummen Patienten was gut für ihn ist.
Und es ist schlichtweg unverschämt, wenn es außerhalb des therapeutischen Setting oder gar in der Öffentlichkeit und den öffentlichen Medien stattfindet. Hast du schon einmal einem/r Freund/in mit Liebeskummer gesagt: “Jetzt vergiss doch endlich diese Tussie / diesen Typen.” Eben. Auch ein RatSCHLAG ist ein Schlag. Manchmal kann so etwas sinnvoll sein. Und wenn ich jemandem sage, was er tun und lassen soll, impliziert das, dass ich ihn für unfähig halte, um selbst auf eine Lösung zu kommen. Und mich für besser, weil ich ja dann so klug bin, und weiß, wie es “richtig” wäre. Das ist respektlos.
Manche Menschen wollen Schmerz verdrängen, manche wollen reden, manche wollen sich ablenken, manche wollen nichts hören und nichts sehen. Manche brauchen heute das und morgen etwas ganz anderes. All das ist ok. All das ist Leben. All das ist ihr gutes Recht. Das ist Eigenverantwortung, selbst zu entscheiden. Es ist eine Fähigkeit, spüren zu können, was einem gut tut. Es ist eine Fähigkeit Gefühle zulassen zu können. Es ist eine Fähigkeit, Gefühle verdrängen zu können.
Es gibt tatsächlich Fachkräfte, die das anders sehen – Kliniken, die Patienten verbieten, über das Erlebte zu sprechen und Therapeuten, die Betroffene unter Druck setzen, damit sie sprechen. Hier haben wir sie wieder, die Normierung von Menschen, von Leben, von Lebendigkeit.
Und was man sich auf der Straße und vor allem im Internet anhören kann – dazu fehlen mir wirklich absolut die Worte.
Niemand, und wirklich absolut niemand hat irgendein Recht, jemand anderem vorzuschreiben, wie er mit seinen Gefühlen und seiner persönlichen Geschichte umzugehen hat. Und ich selbstverständlich auch nicht. Deswegen wiederhole ich hier meine Aussage vom Anfang: Ich bin kein Guru und als Kind auch nicht im Weisheitstrank ertrunken. Falls Du also einen anderen Weg für Dich als stimmiger betrachtest, dann wähle bitte diesen. Das fände ich ganz toll, denn ich freue mich über jeden, der sich seine eigene Meinung bildet und seinen eigenen Weg geht.
Der Punkt ist der: Es gibt einen Ort jenseits der Norm und Ideologie. Es gibt einen Ort jenseits von richtig und falsch, jenseits von gut und böse. Es ist der Ort, an dem das wahre Leben stattfindet, der Ort jenseits von Bewertung und Abwertung. Es ist der Ort, an dem man einfach nur SEIN darf. Es ist das irdische Paradies.
Dualität als Dogma. Oder: Die Rückkehr ins Paradies der Einheit
Der Mensch und das Leben (Adam und Eva) wurden aus dem Paradies vertrieben, weil sie gegessen haben vom Baum der ERKENNTNIS. Und zwar nicht irgendeine Erkenntnis, sondern die Erkenntnis, was gut und was böse ist.
Das ist deswegen bemerkenswert, weil hier eine Polarisierung oder Dualisierung und damit eine Trennung drinsteckt – und viele sehen darin die Wurzel allen Übels, da sich der Mensch nach Einheit sehnt. In der christlichen Mythologie wurde diese Einheit durch Jesus Christus wieder hergestellt. Ich glaube daran nicht, denn ich glaube nicht an Trennung und auch nicht daran, dass Erkenntnis Sünde sein soll. Die Dualität und die Polarität sind Wahrnehmungen, auf die wir gepolt sind, die aber keineswegs der Realität entsprechen müssen.
Ich lebe nicht in einer schwarz-weißen „entweder-oder“-Welt. Meine Welt ist eine bunte und vielfältige „sowohl-als-auch“-Welt. Daher ist natürlich die Frage der Überschrift (Systemkritik oder positives Denken?) auch pure Polemik. Beides hat seinen Platz. Beides kann nebeneinander bestehen. Jeder darf sich das für sich Passende aussuchen. In meiner Welt hat alles seinen Platz und seinen Sinn. In meiner Welt gibt es eine natürliche Ordnung und ein natürliches Gleichgewicht. In meiner Welt gibt es eine ganz natürliche Einheit – eine Kreislauf des Lebens, der eben in der Abfolge von unterschiedlichen Zuständen besteht, die alle zur Erhaltung des Kreislaufes, des Lebens, notwendig und damit per Definition weder gut noch schlecht sind. Einheit heißt auch Einheit mit sich selbst, Einheit mit dem Leben, Einheit mit den eigenen Gefühlen, der eigenen Geschichte, der eigenen Wahrheit, Einheit mit dem Universum, Einheit mit dem Göttlichen …
Epilog. Das Wunder des Lebens. Oder: In Frieden angekommen
Für mich gibt es keinen Frieden, wenn ich nicht fühlen darf, was ich fühle, wenn ich nicht sehen darf, was ich sehe und das Unrecht nicht Unrecht nennen darf.
Ich habe Achtung vor dem Leben. Ich habe Achtung vor mir selbst und anderen. Daher habe ich unweigerlich auch Achtung vor meinen Gefühlen und den Gefühlen anderer. Auch vor den „negativen“. Frieden bedeutet nicht die Abwesenheit von Leid. Frieden bedeutet Einheit mit sich selbst und mit dem Wunder des Lebens.
„Finde dein Lied. Richte deine Aufmerksamkeit ganz fest auf es. Das einzige in deinem Bewusstsein. Ja. Schau in dieses Lied. Kannst du es erkennen? Kannst du es fühlen? Das Zentrum deines Liedes steht auf Vertrauen; Vertrauen in das Lied, den Schöpfer, die Schöpfung, weil sie die geheiligte Verbindung leben – sie erfahren sie – sie kennen sie – sie sind sie. Das ist die Unschuld, die du in diesen frühen Jahren verloren hast. Wenn Menschen noch ganz klein sind, sind sie alle Unschuld und Vertrauen und Wachstum. Sie lernen zu kontrollieren, die Dinge im Griff zu haben. Wenn die Berührung und die Verbindung, die sie brauchen, von ihnen genommen und das Vertrauen gebrochen wird …“
„Das einzige, was bleibt, ist Kontrolle“, unterbrach ich ihn. „Oh mein Gott! Eine Sache nach der anderen zu kontrollieren. Menschen. Dinge. Ereignisse. Besitz.“
Er hob eine Augenbraue und nickte „Und dann verstreuen sie ihre Aufmerksamkeit in Zweifel und Ängste und „Was-wenn“. Sie verstehen nicht, was es heißt, Glaube und Vertrauen in irgendetwas zu haben. Sie vergessen, was es heißt, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren.“
„Macht.“ Er hielt seine Hand in den Himmel, als ob er etwas Großes und Schweres halten würde. „Heutzutage hörst du die Menschen überall sagen, dass Sie Macht wollen. Wie sie Macht erreichen wollen. Die wirkliche Macht kommt immer von deinem Herzen. Sie kommt von deinem Lied und den Liedern der Millionen. Von unserem Herz, von unserer Unschuld, von Aufmerksamkeit …“
Ich dachte laut. „Also das heißt, wenn du die Berührung und die Verbindung der Menschen kontrollierst, ihre Neugier und ihre Zuneigung, dann kontrollierst du ihren Zugang zu ihrem Vertrauen, zu ihrer Unschuld, zu ihrem Lied? Du kontrollierst ihre Macht?
„Ja“, antwortete er.
„Oh mein Gott!“ Ich schlug auf den Boden.
„Oh mein Gott!“ Er imitierte mich und schlug mit der Hand auf sein Bein.
Die überwältigende Kontrolle, die man uns durch Manipulation über die Jahrhunderte auferlegt hatte, wurde mir nun bewusst.
„Aber was kann ich tun, um es zu ändern?“
„Leb nicht für sie. Leb für dich.“
Er lehnte sich vor. „Nimm zurück, was dir gehört. Das Lied eines Menschen kann niemals vollständig genommen werden. Sie haben dich getäuscht und bewirkt, dass du dich von ihm abgewendet hast. Dich blind gemacht. Dich gefühllos gemacht und betäubt. Aber das musst du nicht sein. Du kannst kämpfen. Nur dieser Krieg findet in dir statt.“
„Die Schlacht hier besteht darin, dich selbst zu finden und den Weg, auf dem du stehst. Dein Lied zu kennen. Das Leben in dir selbst und in allen Dingen zu spüren. Deiner eigenen Spezies in Harmonie und im Geben zu begegnen. In der Lage zu sein, dich selbst zu respektieren. Das heißt es, das Netzt zu tanzen. Es ist die Wahl den Weg der Schönheit zu gehen oder aufzugeben und auf dem Pfad des lebendigen Todes zu wandeln.“
(Aus Sacred Link von Kay Cordell Whitaker, Übersetzung von mir)