Ich hab da mal ein paar Fragen: Wenn ich vergewaltigt werde, bin ich selbst schuld? Das habe ich dann selbst angezogen? Eine Resonanz für Gewalt erzeugt? Oder liegt meine „Schuld“ dann darin, dass ich nicht mit Burka rumlaufe?
Und wenn ich schlimme Dinge erlebt habe und mir dann das Recht und die Freiheit nehme, zu trauern, wütend zu sein, mich zurück zu ziehen, mir MEINE Zeit zur Verarbeitung zu nehmen, so wie es sich für MICH richtig anfühlt, dann ist das nicht „richtig“, weil… Ja warum? Weil dann andere Personen, die mich gar nicht kennen, behaupten, ich würde mich in die „Opferrolle“ begeben? (Oh Gott, wie furchtbar, ein „Opfer“. Das geht ja mal in unserer Leistungsgesellschaft gar nicht.) Oder weil ich das nicht darf, weil es ja vom psychiatrischen System normiert ist, wie ich zu sein habe, mich zu verhalten habe und wie ich Dinge zu verarbeiten habe? Oder, ach ja, weil es neuerdings ja auch jede Menge Coaches und „Lehrer“ gibt, die ja so gut wissen, was gut für mich ist? Und was ist überhaupt „krank“? Das, was ICD-10 und DSM-5 vorgeben, worüber sich manche Menschen tierisch aufregen, z.B. wenn es um ADHS geht? Oder brauchen wir die Diagnoserahmen eigentlich gar nicht mehr, weil ja neuerdings als Coach jeder die Normierung der Menschen, des Lebens, der Lebendigkeit vornehmen darf? Oder, ach ja – ich glaube ich habe es geschnallt – brauchen wir die Coaches eigentlich nur, damit sich Herr Meier und Frau Müller auf die Lehren der Coaches berufen können, wenn sie die Menschen kategorisieren und be-/abwerten (á la „Du willst ja nur anderen die Schuld geben und bist in Deiner Opferrolle gefangen“) Denn ist es nicht viel angesagter, die Lehren eines doch so spirituellen Coaches „nachzuplappern“, als die Lehren der Psychiatrie, die ja von vorneherein scheiße ist, weil sie mit der doofen Pharmalobby und einer Decke steckt? Und tun nicht Coaches und Psychiatrie genau das gleiche: Von OBEN vorschreiben, was richtig und falsch, was gut und was böse ist?Und wer schon von „Opferrolle“ redet und gleichzeitig an das Gesetz der Resonanz glaubt: Kann es nicht sein, dass ein „Opfer“ die eigene Schwäche und Hilflosigkeit reflektiert, die aber in unserer Gesellschaft nicht sein darf? Ist es nicht unheimlich einfach, die eigene Schwäche aufs „Opfer“ zurück zu projizieren, indem man ihm klar macht, dass es nicht „richtig“ ist und dass es etwas ganz schlimmes tut, nämlich sich in die „Opferrolle“ zu begeben? Und wie gerechtfertigt ist es überhaupt, jemandem einfach mal so zu unterstellen, er “spiele” eine „Rolle“?
Ach ja, und nochmal zu dieser „Schuld“-Sache: Was ist denn Schuld? Beruht nicht Schuld auf dem religiösen Konzept der Sünde? Und beruht nicht die ursprüngliche Sünde auf (dem Essen vom Baum der) Erkenntnis, der Erkenntnis, was gut und was böse ist? Und wenn Adam und Eva ERKANNT haben, was gut und was böse ist, wozu brauchten sie dann einen strengen Gott mit seinen Geboten, der noch einmal von OBEN über „richtig und falsch“ bestimmte? Vielleicht damit sie über das Konzept der Schuld klein und manipulierbar blieben? Ist nicht das Prinzip der SCHULD seit Menschengedenken zur Machtausübung genutzt worden? Und wird nicht Schuld auch heute von manchen Tätern sehr gezielt eingesetzt, um Menschen gefügig zu machen, z.B. wenn es um häusliche Gewalt oder sexuellen und anderen Kindesmissbrauch geht?
Und ist es nicht genau das, was Herr Betz und andere auch tun? Uns Schuld einreden? Aber Moment: Nein, er ist doch gegen Schuldzuweisungen und für Eigenverantwortung!? Ist er das? Wenn er das ist, warum predigt er dann seine Weltanschauung? Traut er mir nicht zu, meine eigene Weltanschauung zu haben, meine eigene Sichtweise, meine eigenen Gefühle, meine eigenen Werte – beruhend auf meiner eigenen Erfahrung, auf dem, was mein Herz und meine Seele empfinden? Und hält er mich nicht genau damit klein, indem er sich über mich stellt und so tut, als wüsste er es besser und hätte etwas über mich zu sagen, obwohl er mich nicht kennt? Ist nicht genau das die perfideste und perverseste Manipulation und Machtausübung, obwohl – oder gerade weil – seine Worte und sein Tun offizielle die Aufschrift LIEBE tragen? Wäre er für Eigenverantwortung, würde er mir nicht die Gelegenheit geben, auf mich selbst zu hören anstatt auf ihn? Und nochmal zur Schuld: Gehört es nicht zum Leben dazu, auch einmal vermeintlich „negative“ Dinge zu erleben? Und impliziert nicht die Ansicht von Herrn Betz, dass ich nicht gut genug bin, wenn ich „negative“ Dinge erlebe, weil ich dann einfach nicht „richtig“ bestellt, nicht „richtig gedacht“, es nicht „richtig“ gemacht habe, noch nicht “weit genug” bin? Und daher wiederhole ich hier meine Frage vom Anfang: Wenn ich vergewaltigt werde – und darunter leide – bin ich selbst schuld???
Und noch ein letztes fällt mir zu Robert Betz und zu anderen Lehrern dieser Art ein: Wer so tut, als bringe er die Menschen zum Nachdenken, den lieben sie. Wer sie wirklich zum Nachdenken bringt, den hassen sie.“ (Aldous Huxley)
(Ich habe selbst keine sexuelle Gewalt erlebt. Ich schrieb diesen Text im Zusammenhang mit einer Diskussion über eine Statusmeldung von Robert Betz, wobei er hier für mich nur ein Synonym für eine Einstellung ist, die viele andere Coaches, Lehrer und Therapeuten auch haben.)